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© Marketing Drenthe

Die Kolonien der Barmherzigkeit sind eng verknüpft mit der Entwicklung der modernen niederländischen Gesellschaft. Sie sind Teil eines groß angelegten Sozialexperiments, das Anfang des 19. Jahrhunderts die Armut der Stadtbewohner lindern sollte. Im Juli 2021 wurden fünf der sieben Kolonien von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Erkunde die ehemaligen Siedlungen und erfahre mehr über ihren Einfluss auf die niederländische Gesellschaft.

  • Folge den Spuren der ehemaligen Koloniebewohner.
  • Besuche lehrreiche Museen und entdecke faszinierende Orte.
  • Erfahre mehr über die innovativen Ansätze im Umgang mit sozialen Problemen.
Adresse:
Oude Gracht 1
9341AA Veenhuizen

Mehr Arbeit, weniger Armut

Die „Kolonien der Barmherzigkeit“ basieren auf einem groß angelegten Sozialexperiment zur Armutsbekämpfung Anfang des 19. Jahrhunderts. Durch die Umsiedlung einkommensschwacher Stadtbewohner in ländliche Regionen sollten neue Arbeitsplätze geschaffen und landwirtschaftliche Strukturen etabliert werden. Als Standort für die Agrarkolonien wurden die Provinzen Drenthe und Overijssel sowie die belgische Region Flandern auserwählt.

Um der armen Bevölkerung im Königreich der Vereinigten Niederlande, zu dem auch Belgien gehörte, ein besseres Leben zu ermöglichen, gründete Johannes van den Bosch im Jahr 1818 die Wohltätigkeitsgesellschaft „Maatschappij van Weldadigheid“. Zwischen 1818 und 1825 entstanden insgesamt sieben Armenkolonien: Frederiksoord, Wilhelminaoord und Veenhuizen in Drenthe, Ommerschans und Willemsoord in Overijssel sowie Wortel und Merksplas in Belgien.

Als wichtiger Bestandteil der niederländischen und flämischen Geschichte wurden fünf der sieben Kolonien im Jahr 2021 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Ein Besuch in den historischen Dörfern ist lehrreich, faszinierend und bedrückend zugleich. Komm vorbei und erfahre mehr über die Geschichte der niederländischen Gesellschaft.

In der 1818 gegründeten Kolonie Frederiksoord befindet sich heutzutage das Museum De Proefkolonie. Die interaktive Ausstellung informiert über das Leben der ehemaligen Koloniebewohner. Für weitere Einblicke in die Geschichte des Ortes sorgt der „Kolonie-Express“. Spring auf, lehn dich zurück und genieße die Aussicht! Der elektrisch betriebene Kolonie-Express fährt durch die Straßen der historischen Armenkolonie, vorbei an Schulen, Gärten und Wohnhäusern.

In Wilhelminaoord wurden die geschichtsträchtigen Bauernhöfe bereits vor langer Zeit durch moderne Betriebe ersetzt. Die ehemalige Armenkolonie zählt zu den ersten Orten, in denen Alten- und Pflegeheime errichtet wurden.

Eine Utopie

Mitte des 19. Jahrhunderts lebten und arbeiteten mehr als 11.000 Menschen in den niederländischen „Kolonien der Barmherzigkeit“. Die utopische Idee der Armutsbekämpfung war eng verknüpft mit den Grundgedanken der europäischen Aufklärung.

Auf den ersten Blick boten die Kolonien Vorteile für beide Seiten: Notleidende Menschen wurden aus ihrer Armut befreit, während das ungenutzte Land in profitables Agrarland umgewandelt wurde. Im Tausch gegen die Arbeitskraft der Stadtbewohner stellte der Staat Wohnraum, Arbeit und Bildung zur Verfügung.

Theoretisch war das Leben in den Kolonien freiwillig. Die Bewohner konnten in ihre Städte zurückkehren, wenn sie es wünschten. Jedoch fürchteten viele Menschen die soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung bei ihrer Rückkehr. Was als positiver Neuanfang begann, endete für viele Bewohner in einer Abwärtsspirale aus Arbeit und Unterdrückung. Missglückte Ernten sorgten für ausbleibende Profite auf Seiten der Geldgeber. Um die Investitionen es Staates zu schützen, wurden einige Kolonien zu Zwangslagern umfunktioniert.

Im Zuge der Gewinnmaximierung schloss die „Maatschappij van Weldadigheid“ neue Verträge mit dem Staat. Es wurde beschlossen, dass vor allem städtische Waisenkinder, Bettler und Landstreicher aufgenommen werden sollten. Die Siedlungen Veenhuizen, Ommerschans und Merksplas wurden zu Zwangskolonien umfunktioniert bzw. neu gegründet. In den Großasylen wurden bis zu 2.000 Bewohner untergebracht. Ihre Arbeit auf den Feldern geschah unter Druck und strenger Aufsicht.

Die Kolonie Willemsoord, die im Jahr 1923 verkauft wurde, hat sich zu einem typisch niederländischen Dorf entwickelt. Die Entstehungsgeschichte spielt bis heute eine wichtige Rolle für das Dorf und seine Bewohner. Das Eetcafe de Steen zeigt mithilfe von Virtual Reality, wie es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Willemsoord ausgesehen hat. Erfahre mehr über den Gründer Johannes van den Bosch und die Anfänge der Armenkolonien. In Willemsoord gibt es außerdem einen jüdischen Friedhof sowie zahlreiche Rad- und Wanderwege.

Zu Besuch in einer Zwangskolonie

In Veenhuizen erfährst du mehr über das Leben in einer „unfreien“ Kolonie. Entdecke 124 nationale Denkmäler und folge den Spuren der Koloniebewohner. Besonders sehenswert ist das Nationale Gefängnismuseum, das über die Kriminalität und Justiz der damaligen Zeit informiert. Im Anschluss lohnt sich ein Besuch in der Brouwerij Maallust Veenhuizen. Die Brauerei befindet sich in einer ehemaligen Windmühle der Kolonie. Die Wohnungen zeigen Inschriften wie Arbeid is Zegen (Arbeit ist Segen), Werken is Leven (Arbeit ist Leben) und Werk en Bid (Arbeite und Bete). Die Audiotour „Het Pauperparadijs“ führt dich Schritt für Schritt durch die Vergangenheit der einstigen Agrarkolonie. Unser Tipp: Im Jahr 2023 findet erneut das mitreißende Musical „Het Pauperparadijs” statt.

Die Zwangskolonie Ommerschans wurde längst durch neue Häuser ersetzt. Erkunde die Wanderroute „Alte Fußspuren in Ommerschans“ und entdecke malerische Bauernhöfe inmitten der weiten Landschaft. Beende deine Tour auf dem Friedhof von Ommerschans. Hier wurden zahlreiche Koloniebewohner anonym bestattet.

Die Kolonien haben die Entwicklung der modernen niederländischen Gesellschaft stark beeinflusst. So wurden bereits Anfang des 19. Jahrhunderts die Grundsteine für die heutigen Altenheime, Krankenkassen und das Schulsystem gelegt. Zusätzlich haben viele Menschen einen persönlichen Bezug zu den Kolonien der Barmherzigkeit. Schätzungen zufolge hat jeder 16. Niederländer mindestens einen Vorfahren, der in einer Armenkolonie gelebt und gearbeitet hat.

Verbinde deinen Besuch mit einem Ausflug ins Grüne: Viele der ehemaligen Siedlungen liegen am Rande malerischer Naturgebiete. Wo könnte man die neuen Eindrücke besser verarbeiten als im Freien. Halte einen Moment inne und genieße die Stille!