Hochwasserschutz in Kampen - 19. Nov. 2024
Die niederländische Hansestadt Kampen steht vor einer uralten, doch immer drängenderen Bedrohung: der unaufhaltsamen Macht des Wassers. Wie ein stiller Wächter erhebt sich die Stadt an der Mündung der mächtigen IJssel in der Provinz Overijssel im Osten der Niederlande. Einem Fluss, der schon zu Hansezeiten für Lebensraum und Handel sorgte, aber auch die ständige Gefahr der Überschwemmung mit sich bringt.
Umgeben von einem Netz aus Flüssen, Kanälen und Poldern, die einst den Reichtum der Stadt sicherten, könnte Kampen schnell Opfer seiner eigenen geographischen Lage werden. Durch den Klimawandel wächst die Herausforderung, sich ausreichend vor den Fluten zu schützen. Für die Stadtverwaltung Kampens ist die Frage des Wassermanagements von herausragender Bedeutung. Die geografischen und klimatischen Bedingungen machen Kampen besonders anfällig für Hochwasserereignisse, sodass die Stadt auf innovative Schutzmaßnahmen setzt.
Warum sorgt sich Kampen vor Überschwemmungen?
Kampen mit seinen rund 55.000 EinwohnerInnen liegt in einer der tiefst gelegenen Regionen der Niederlande. Große Teile der Stadt und ihrer Umgebung liegen unter dem Meeresspiegel. Diese geographische Besonderheit macht sie extrem anfällig für Hochwasserereignisse. Immer häufiger auftretende Perioden von Starkregen verschärfen das Risiko von Überflutungen zusätzlich. Besonders problematisch ist die Lage an der IJssel, einer der wichtigsten Wasserstraßen des Landes, die große Wassermengen Richtung IJsselmeer leitet.
Vor allem in Kombination mit Sturmfluten kann das Wasser in der IJssel dramatisch ansteigen und das Umland von Kampen bedrohen. Um dieser Bedrohung zu begegnen, hat Kampen eine Reihe von Hochwasserschutzmaßnahmen ergriffen, die technische und natürliche Lösungen kombinieren. So beteiligt sich Kampen am Projekt „Raum für den Fluss“ (niederländisch: Ruimte voor de Rivier), das in mehreren niederländischen Städten umgesetzt wird und darauf abzielt, den Flüssen bei Hochwasser mehr Platz zu geben.
In Kampen konzentriert man sich auf Maßnahmen, die die Kapazität des Flusses IJssel erhöhen, sodass größere Wassermengen aufgenommen werden können, ohne dass die Stadt überflutet wird. Dies geschieht durch verschiedene Eingriffe in die Flusslandschaft und angrenzende Gebiete: In bestimmten Abschnitten der IJssel wurde das Flussbett verbreitert, um den Wasserfluss zu beschleunigen und eine Stauung zu verhindern, die sonst zu Überschwemmungen führen könnte.
Zudem wurden Überflutungsflächen geschaffen, wie etwa im Reevediep. Dieser sieben Kilometer lange Umleitungskanal verbindet die IJssel mit dem Drontermeer und kann bei Hochwasser überschüssiges Wasser ableiten. Das Reevediep fungiert somit als Puffer und kann den Druck auf die Deiche entlang der IJssel erheblich reduzieren. Gleichzeitig ist es ein Beispiel für die Renaturierung von Flusslandschaften und fördert die natürliche Pufferkapazität des Flusses.
„Durch die Wiederherstellung natürlicher Uferregionen mit Auen und Feuchtgebieten wird die Pufferkapazität des Flusses erhöht“, erklärt Stan Vergeer, Wassermanagement-Experte der Gemeinde Kampen. „Diese Maßnahmen fördern die Versickerung und verlangsamen den Wasserfluss, was die Gefahr plötzlicher Hochwasserereignisse verringert.“ Zudem entstehe neuer Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, der als Naherholungsgebiet und für Aktivitäten wie Wander- und Fahrradwege genutzt wird.
Schleusen und Wehre regulieren den Wasserstand
Das Reevediep ist zudem mit Schleusen und Wehren ausgestattet, die den Wasserfluss regulieren. Diese Bauwerke ermöglichen es, den Wasserstand präzise zu steuern und Überschwemmungen in kontrollierten Bereichen zuzulassen, während bewohnte Gebiete geschützt werden. Eine der bemerkenswertesten Maßnahmen ist der Bau von mobilen Flutwehren. Diese können bei drohenden Hochwassern schnell von einer Einsatzgruppe lokaler Freiwilliger errichtet werden.
Diese mobilen Flutwehre bieten die Möglichkeit, bestimmte Stadtteile oder Regionen flexibel zu schützen, je nach Hochwasserszenario. Zusätzlichen Schutz bietet auch die sogenannte Balgsperre Ramspol (niederländisch „Balgstuw Ramspol“), die zwischen dem IJsselmeer und dem Ketelmeer liegt, einem Binnengewässer nahe Kampen. Bei dieser Sperre handelt es sich um eine aufblasbare Barriere, die aus drei riesigen Gummischläuchen besteht, die nebeneinander quer über das Wasser gespannt sind.
Diese Bälge sind normalerweise leer und liegen flach auf dem Grund des Kanals, sodass der Schiffsverkehr ungehindert passieren kann. Bei Sturmflutgefahr wird die Anlage aktiviert, indem die Bälge mit Luft und Wasser gefüllt werden, was etwa 90 Minuten dauert, erläutert Stan Vergeer. Durch das Befüllen steigen die Schläuche aus dem Wasser und bilden so eine Barriere, die sich über die gesamte Breite des Wasserweges erstreckt, insgesamt 240 Meter lang und zehn Meter hoch.
Vorteile und Bedeutung der Balgsperre Ramspol
Die Ramspol-Sperre ist weltweit einzigartig und bietet mehrere Vorteile gegenüber traditionellen Sturmflutwehren: Da die Barriere nur bei Bedarf aktiviert wird, bleibt der Wasserweg im Normalzustand für die Schifffahrt offen. „Sie kann schnell und effektiv per Kopfdruck aktiviert werden und besticht durch ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis: Im Vergleich zu festen Barrieren oder Dämmen ist Ramspol wirtschaftlicher, da sie nur bei Bedarf eingesetzt wird,“ sagt Vergeer.
Die verschiedenen Schutzmaßnahmen in und um Kampen zeigen, wie durch eine Kombination aus Innovation und Renaturierung der Kampf gegen Überflutung effizient und nachhaltig gestaltet werden kann. Das vielseitige Wassermanagement schafft zudem neue Lebensräume für Flora und Fauna und erhöht die Lebensqualität der BewohnerInnen durch attraktive Erholungsflächen. Kampen passt sich so den Herausforderungen des Klimawandels an und sichert gleichzeitig einen lebenswerten Raum für künftige Generationen.